Saarländische Projekte

Gesundheitspreis der
saarländischen Ärzteschaft 2021

Die Ärztekammer hat von April bis Juni 2021 in Kooperation mit dem „Netzwerk Patientensicherheit für das Saarland“
den Gesundheitspreis der saarländischen Ärzteschaft 2021 für ein Projekt zur Verbesserung der Patientensicherheit ausgeschrieben.
An dieser Stelle veröffentlichen wir die eingereichten Beiträge.

01

InfectioApp

Eine kostenfreie Leitlinie im Format einer Smartphone-App zur empirischen und gezielten antiinfektiven Therapie

Antibiotika sind ein essentieller Bestandteil der modernen Medizin und ohne sie könnten viele Teildisziplinen, wie beispielsweise die Transplantationsmedizin, die Abdominal- und Viszeralchirurgie sowie hämatoonkologische und immun-suppressive Therapien, nur sehr eingeschränkt zum Einsatz kommen. Aus diesem Grund sind die seit Jahrzehnten zunehmenden bakteriellen Resistenzen besorgniserregend und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet Multiresistenz sogar als „Bedrohung für die Errungenschaften der modernen Medizin“. Offenkundig wurde dies u.a. auch im Rahmen der COVID-19-Pandemie, da viele Patienten auf saarländischen Intensivstationen nach mehreren Wochen des stationären Aufenthaltes Superinfektionen mit z.T. ausgeprägt resistenten Bakterien entwickelten, die teilweise zu lebensbedrohlichen Komplikationen führten und nur schwer zu behandeln waren. Aber auch in der hausärztlichen Praxis, in Ambulanzen und auf Normalstationen kommen Antibiotika bei Erkrankungen unterschiedlichen Schweregrades jeden Tag zum Einsatz. Für Ärztinnen und Ärzte ist es dabei nicht immer einfach, das passende Antibiotikum und die korrekte Dosierung auszuwählen. Denn sie müssen nicht nur das akute Beschwerdebild und die auslösenden Mikroorganismen im Blick haben, sondern zudem Grunderkrankungen ihrer Patientinnen und Patienten mit einbeziehen und die vermehrten Resistenzen von Erregern bedenken. Antibiotika-Leitlinien mit

Empfehlungen zur geeigneten empirischen und gezielten Therapie

bei Infektionen verschiedener Organsysteme können eine große Erleichterung darstellen, um ärztlichen Kolleginnen und Kollegen die Auswahl des geeigneten Antiinfektivums für die Therapie zu erleichtern. Es ist dabei jedoch wichtig, dass diese Empfehlungen an die lokale Resistenzepidemiologie angepasst sind und regelmäßig überprüft und aktualisiert werden. Dies stellt eine gewisse Herausforderung dar, da es bei Nutzung „klassischer“ Kitteltaschenbücher fast unmöglich ist, diese stets aktuell zu halten.

Als Lösungsansatz steht nun mit der InfectioApp eine umfassende und kostenfrei verfügbare Antibiotika-Leitlinie im Format einer Smartphone-Applikation zur Verfügung, welche für die saarländische Ärzteschaft entwickelt wurde, um die Patientensicherheit effektiv, dauerhaft und nachhaltig zu verbessern. Diese Smartphone-App wurde vom Antibiotic Stewardship-Team des Universitätsklinikums des Saarlandes und dem dortigen Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene gemeinsam mit dem InfectioSaar Netz, einem sektorübergreifenden Netzwerk zur Prävention multiresistenter Erreger im Saarland, entwickelt.

Der Inhalt der InfectioApp entspricht rund 200 DIN-A4-Seiten und wird regelmäßig aktualisiert. Die App ist übersichtlich nach den einzelnen Organsystemen strukturiert, so lassen sich sehr schnell alle relevanten Informationen finden.


Hinzu kommen eine intuitive Bedienoberfläche und eine Suchfunktion, sodass es möglich ist, innerhalb weniger Sekunden das gewünschte Kapitel zu finden und zu öffnen. Darüber hinaus können bestimmte Kapitel als „Favoriten“ individuell per Schnellzugriff hinterlegt werden. Neben Informationen zu den einzelnen Krankheitsbildern enthält die App detaillierte Antibiotika-Steckbriefe mit Informationen zur Dosisanpassung bei Grunderkrankungen wie beispielsweise Nieren- und Leberinsuffizienz.

Die InfectioApp ist intuitiv zu bedienen und mit wenigen Klicks erreicht man die Therapie-Empfehlungen für eine Vielzahl spezifischer Krankheitsbilder. Durch einen Klick auf die angegebenen Antibiotika gelangt man direkt zu umfangreichen Steckbriefen, in denen potentielle Nebenwirkungen sowie notwendige Anpassungen bei reduzierter Nieren- oder Leberfunktion aufgeführt sind.

Die InfectioApp richtet sich explizit an alle medizinischen Fachrichtungen. Sie ist kostenfrei über die beiden großen Appstores (Apple App Store und Google Play Store) erhältlich und leicht über den Suchbegriff „InfectioApp“ zu finden.

Weitere Infos finden Sie hier.

02

Die postoperative Endophthalmitis –
ein Dilemma?

Eine Endophthalmitis ist eine Infektion im Inneren des Auges. Es handelt sich um einen medizinischen Notfall. Schwere Augenschmerzen, eine Rötung der Augen und ein Verlust des Sehvermögens können die Folgen sein.

Die befürchtete postoperative Endophthalmitis stellt eine der verhängnisvollsten iatrogenen Komplikationen in der Ophthalmochirurgie dar und es gibt gleichzeitig keine Möglichkeit, ihr Auftreten gänzlich zu verhindern. Unsere interne Leitlinie (Augenklinik Sulzbach) zur Endophthalmitistherapie beinhaltet unter anderem die frühe Vitrektomie. Ich war verwundert, als ich erfahren habe, dass diese Leitlinie vor allem auf die Erfahrung meiner Vorgesetzten beruht, als auf klassische evidenzbasierte Medizin. Grund dafür ist vor allem die Tatsache, dass es hinsichtlich der Evidenz dazu schlicht und ergreifend unbefriedigend steht. Die einzige Level 1 Studie stammt aus dem Jahr 1995 (Endophthalmitis Vitrectomy Study[1]) und kommt zu dem Ergebnis, dass nur Patienten mit Lichtscheinwahrnehmung und schlechterem Visus von einer frühen Vitrektomie profitieren. Aufgrund der Fortschritte der letzten 25 Jahre in der Netzhautchirurgie erscheinen diese Daten allerdings veraltet.

Das erste Ziel unseres Projekts war es nachzuweisen, dass Augen von Patienten, die aufgrund einer Endophthalmitis in unserer Augenklinik in den letzten Jahren einer frühen Vitrektomie unterzogen wurden, gerettet werden konnten.

Wir gehen davon aus, dass die Patienten insgesamt von unserer Leitlinie profitieren und unsere kürzlich publizierte retrospektive Studie „Effectiveness of immediate vitrectomy and intravitreal antibiotics for post-injection endophthalmitis“[2] in „Graefe’s Archive for Clinical and Experimental Ophthalmology“ soll als Anregung für zukünftige Studien mit erhöhtem Evidenzlevel verstanden werden.

 


Unsere Ergebnisse zeigen, dass der präoperative Visus nach erfolgreicher unmittelbarer Intervention in den allermeisten Fällen widerhergestellt werden kann. Auf dem Kongress der EuRetina 2019 in Paris, sowie auf dem Jahreskongress 2019 der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft in Berlin wurden erste Zwischenergebnisse unserer Arbeit vorgetragen. Darüber hinaus sind zu diesem Thema zwei Review-Artikel unserer Arbeitsgruppe erschienen, die in der Märzausgabe 2021 der Zeitschrift „Der Ophthalmologe“ unter dem Leittitel „Postoperative Endophthalmitis“ publiziert worden sind[3, 4].

 

Darüber hinaus ist als zweites Ziel unseres Projekts eine Analyse des optimalen antiseptischen Protokolls in Rahmen von intravitrealen Injektionen (IVOMs), die mittlerweile weltweit zu den am häufigsten durchgeführten Eingriffen in der Medizin überhaupt gelten, geplant. Das Übergeordnete Ziel des zweiten Abschnittes ist es eine Leitlinie zu definieren, die mit dem niedrigsten Endophthalmitisrisiko einhergeht und zunächst auf nationaler, später hoffentlich auch auf internationaler Ebene angenommen wird. Dieses Projekt ist wichtig, um in Zukunft bei den weltweit immer häufiger werdenden IVOMs die Wahrscheinlichkeit dieser iatrogenen Komplikation zu minimieren.

Ein derartiges Projekt zur Verbesserung der Patientensicherheit bedarf eines Teams an engagierten interdisziplinären Medizinern und Forschern.

 


An dieser Stelle möchte ich auf meine Kollegen in der Augenklinik Sulzbach (Frau Dr. Annekatrin Rickmann, Frau Dr. Núria Perez Guerra, Herr Prof. Dr. Kai Januschowski, Herr Prof. Dr. Peter Szurman sowie Herr Dr. Karl Boden) hinweisen. Ohne Sie wäre dieses Unterfangen zweifelsohne nicht möglich gewesen. Außerdem gilt mein ganz besonderer Dank Herrn Prof. Dr. Dr. Sören Becker, Direktor des Institutes für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene des UKS in Homburg. Herr Professor Becker war für die mikrobiologische Analyse unserer eingesandten Proben zuständig. Seine Ergebnisse konnten einen entscheidenden Beitrag zum Keimspektrum vieler Endophthalmitisfälle der letzten 10 Jahre im Saarland leisten. Darüber hinaus war er federführend an der Verfassung des Fachartikels „Mikrobiologische und infektiologische Aspekte der postoperativen Endophthalmitis“[4] beteiligt.

 

Wir hoffen, dass durch unseren Forschungsbeitrag das Schicksaal vieler Patienten, die von dieser unglücklichen Diagnose nicht verschont bleiben, geändert werden kann und wir somit einen Teil zur Verbesserung der Patientensicherheit beitragen können.

 

 

Im Namen des gesamten Teams

 

Lukas Bisorca-Gassendorf

Assistenzarzt in der Augenklinik Sulzbach

Knappschaftsklinikum Saar GmbH






Referenzen

  1. Group EVS. Results of the Endophthalmitis Vitrectomy Study: A Randomized Trial of Immediate Vitrectomy and of Intravenous Antibiotics for the Treatment of Postoperative Bacterial Endophthalmitis. Archives of Ophthalmology. 1995;113(12):1479-96. doi: 10.1001/archopht.1995.01100120009001.
  2. Januschowski K, Boden KT, Szurman P, Stalmans P, Siegel R, Perez Guerra N, et al. Effectiveness of immediate vitrectomy and intravitreal antibiotics for post-injection endophthalmitis. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol. 2021 Jan 27. PMID: 33502628. doi: 10.1007/s00417-021-05071-w.
  3. Bisorca-Gassendorf L, Boden KT, Szurman P, Al-Nawaiseh S, Rickmann A, Januschowski K. [Postoperative endophthalmitis-a review of literature]. Ophthalmologe. 2021 Mar;118(3):210-8. PMID: 33270146. doi: 10.1007/s00347-020-01271-7.
  4. Becker SL, Bisorca-Gassendorf L, Boden KT, Al-Nawaiseh S, Januschowski K, Seitz B, et al. [Microbiological and infectious disease aspects of postoperative endophthalmitis]. Ophthalmologe. 2021 Mar;118(3):230-4. PMID: 33296018. doi: 10.1007/s00347-020-01287-z.

03

Etablierung eines interdisziplinären Lungenembolie-Teams im Klinikum Saarbrücken

Behandlungsteams, die sich interdisziplinär, d.h. aus verschiedenen Fachbereichen der Medizin zusammensetzen bilden heute eine wesentliche Basis zur Behandlung verschiedener lebensbedrohlicher Erkrankungen. Um die Diagnosestellung und die Behandlung der Lungenembolie neu zu fokussieren und zu strukturieren und damit die Sicherheit von Patienten* im Klinikum Saarbrücken zu erhöhen, wurde im Frühjahr 2021, auf Basis US-amerikanischer Modelle, ein interdisziplinäres „Lungenembolie-Team“ eingerichtet. Ein wesentliches Ziel des Lungenembolie-Teams über die Akutbehandlung hinaus ist, durch gezielte Schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen die klinikinterne „Awareness“ für den Themenkomplex Lungenembolie zu steigern und somit auch präventive Wirkung zu entfalten. Dies ist ein elementarer Baustein für mehr Patientensicherheit im Krankenhaus.

Hintergrund

Unter einer Lungenembolie wird ein partieller oder vollständiger Verschluss der Lungenschlagadern durch Blutgerinnsel verstanden, der überwiegend durch eine Thrombose tiefer Bein- oder Beckenvenen hervorgerufen wird. Die oftmals akut auftretende Erkrankung ist weltweit nach Herzinfarkt und Schlaganfall die dritthäufigste kardiovaskuläre Todesursache und ist die häufigste klinisch nicht erkannte Todesursache während einer stationären Behandlung im Krankenhaus. Schätzungen zur Folge sterben in Deutschland 40.000 Patienten jährlich an den Folgen einer Lungenembolie. Für Patienten im Krankenhaus stellt diese Erkrankung daher ein hohes Risiko dar.

 

Welche Herausforderungen bestehen bei der Diagnose?


Eine Lungenembolie ruft oftmals Symptome hervor, die nicht unmittelbar auf die Erkrankung schließen lassen. Neben Atemnot und Brustschmerzen beschreiben die Patienten u.a. auch Husten, Fieber, blutig gefärbten Auswurf oder Ohnmachtsanfälle. Symptome, die auch bei vielen anderen, primär nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen auftreten. Aufgrund dessen wird die Diagnose dieser lebensbedrohlichen Erkrankung oftmals verzögert gestellt. Um eine Lungenembolie zielgerichtet und möglichst schnell zu diagnostizieren und eine individuelle wirksame Therapie einzuleiten, ist jedoch eine frühzeitige Evaluation möglicher Risikofaktoren und damit auch der grundlegenden Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Lungenembolie erforderlich.

Da Patienten sämtlicher Fachdisziplinen von der Erkrankung betroffen sind, sind die Zuständigkeiten für die Diagnostik und Behandlung oftmals unklar (wer entscheidet?). Unklarheit herrscht zudem oftmals über die individuell sinnvolle Therapie (Was ist nötig und möglich?). Nicht zuletzt diese Faktoren erschweren in einigen Fällen eine schnelle und reibungslose Diagnostik und Therapie


Was ist ein „Lungenembolie-Team“, und warum ist es sinnvoll dieses Konzept zu verfolgen?


In Deutschland sind Lungenembolie- Teams noch nicht etabliert. Die Idee, spezielle interdisziplinäre Teams zur Behandlung von Patienten mit Lungenembolie vorzuhalten - sog. „Pulmonary Embolism Response“ (PERT) Teams - stammt aus den USA. Der Grundgedanke ist der, dass lebensbedrohliche Erkrankungen wie Lungenembolie, die eine möglichst rasche Diagnosestellung und Behandlung erfordern, im interdisziplinären Zusammenschluss effektiver behandelt werden können. Vorbild war hierfür die Versorgung lebensbedrohlicher Krankheitsbilder wie des akuten Schlaganfalls, polytraumatisierter Patienten nach Unfällen oder Patienten nach einer Herzwiederbelebung, die bereits seit langem im Rahmen klar definierter interdisziplinärer Teams und Algorithmen erfolgt.  

Wissenschaftliche Daten belegen verschiedene Vorteile durch die Behandlung im Rahmen eines
Lungenembolie-Teams. An US-amerikanischen Zentren konnte die

Therapie grundlegend standardisiert und vereinheitlicht werden, die Liegedauer auf der Intensivstation konnte reduziert und die Häufigkeit einer erforderlichen Krankenhaus-wiederaufnahme nach Entlassung konnte reduziert werden. Erste Studien wiesen zudem auch auf einen Überlebensvorteil durch eine standardisierte Behandlung hin (6). Die grundlegende Rationale für ein interdisziplinäres Lungenembolie-Team ist, vorhandene Strukturen und Expertise zur Behandlung der Lungenembolie zu bündeln und zu standardisieren um sowohl Diagnostik als auch die Behandlung zu erleichtern.


Wie wurde die Idee eines Lungenembolie-Teams im Klinikum Saarbrücken umgesetzt?


Die Idee ein spezielles Behandlungsteam rund um den Komplex Lungenembolie zu etablieren entstand erstmalig im Jahr 2018. Team-basierte Behandlungskonzepte sind im Klinikum Saarbrücken für die Versorgung traumatologischer Patienten und für Patienten nach kardiopulmonaler Reanimation fest etabliert, daher lag es nahe, einen derartigen Ansatz auch für Patienten mit Lungenembolie umzusetzen. Maßgeblich beeinflusst wurde die Entscheidung von der Idee durch eine gezielte Intervention die Patientensicherheit am Klinikum Saarbrücken in Bezug auf den Komplex Lungenembolie weiterzuentwickeln und zu verbessern.

 




Strukturell orientierten wir uns an den publizierten Vorgaben und Erfahrungen US-amerikanischer Versorger, insbesondere der Struktur des PERT („Pulmonary Embolism Response Team“) des Massachusetts General Hospital, einem wesentlichen Vorreiter der Idee. Folgende Fachdisziplinen bilden das Lungenembolie-Team am Klinikum Saarbrücken:


  • Kardiologie (Innere Medizin 2)
  • Zentrum für Intensiv- und Notfallmedizin (ZIN)
  • Anästhesie
  • Gefäßchirurgie
  • Radiologie

04

Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland
kommt aus Saarbrücken

Vermeidbare Risiken der Arzneimitteltherapie waren 2003 noch kein Thema strukturierter Diskussion und auch nicht Gegenstand oder Ziel von Prozessoptimierung in Deutschland.


von Daniel Grandt1, Simone Grandt2, Christian Braun1

1 Klinikum Saarbrücken gGmbH und 2 RpDoc® Solutions GmbH, Saarbrücken


 Stimuliert durch die Publikation von „To err is human“ in den USA und den Austausch mit Prof. David Bates, Harvard Medical School, Boston, USA, haben das Klinikum Saarbrücken und die RpDoc® Solutions GmbH 2003 ein Pilotprojekt zur Verbesserung der Patientensicherheit mit medikamen-töser Therapie durch elektronische Verordnungsunterstützung und Prozessoptimierung initiiert, das inzwischen zur Verbesserung der AMTS nicht nur am Klinikum Saarbrücken, sondern weit darüber hinaus beigetragen hat.

Erstmalig für ein Krankenhaus in Deutschland erfolgte im Klinikum Saarbrücken 2003 eine strukturierte, systematische Analyse des Medikationsprozesses auf ungenügend konrollierte Risiken mit Hilfe der Failure-Mode-and-Effect-Analysis (FMEA), wobei Methodik und Ergebnisse 2004 publiziert wurden. Ebenfalls zum ersten Mal in Deutschland wurde durch die RpDoc® Solutions GmbH, Saarbrücken, eine Software-Unterstützung der ärztlichen Prüfung der Arzneimitteltherapie zur Verbesserung der AMTS entwickelt, implementiert und auf Basis von Evaluationsergebnissen kontinuierlich weiterentwickelt, um einen fehler­toleranten Ideal-Prozess der Arzneimitteltherapie zu ermöglichen. Für den Projektbeirat konnten damals die Kassenärztliche Vereinigung Saarland, das saarländische Gesundheits­ministerium, das Bundesministerium für Gesundheit, die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, die ADKA und Kranken­kassen­vertreter gewon­nen werden.  


Es zeigte sich, dass Verordnungsfehler der wichtigste Risikofaktor für der vermeidbare Schädigung von Patienten durch ihre Arzneimitteltherapie sind. Dies entspricht dem Ergebnis internationaler Studien. Gemäß Studien aus Deutschland und der Schweiz sind etwa 5% bzw. 8% aller Patienten von einem unerwünschten Arzneimittelereignis (UAE) betroffen. Ähnliche oder noch höhere Raten wurden in Untersuchungen anderer Länder ermittelt. Bis zur Hälfte der UAE konnten auf Medikationsfehler zurückgeführt werden, waren also insoweit grundsätzlich vermeidbar. Ursache inadäquater Verordnungen ist oftmals mangelndes Wissen, einerseits um den Arzneistoff, seine Kontraindikationen, Wechselwirkungen oder korrekte Dosierungen, andererseits aber auch um Patienten-bezogene Faktoren, wie z. B. Laborwerte oder Begleiterkran-kungen. Die Implementierung computergestützter Unterstützung für Ärzte ist die effektivste Fehlerverhütungsstrategie zur Vermeidung von Verordnungsfehlern. Shamliyan und Mitarbeiter konnten zeigen, dass dies zu einer 66-prozentigen Reduktion der Medikationsfehler bei Erwachsenen führen kann, die Gesamtrate der Medikationsfehler konnte in einer weiteren Untersuchung um 83 Prozent gesenkt werden. Dementsprechend wurde von der RpDoc® Solutions GmbH eine Software zur Unterstützung des Arztes durch Verfügbarmachen benötigter Informationen bei der Prüfung auf vermeidbare Risiken der Therapie entwickelt und implementiert und schrittweise auf Basis der Projekterfahrungen optimiert.


Seit 2003 ist die von der RpDoc® Solutions GmbH entwickelte eHealth-Lösung zur Unterstützung des Arzneimitteltherapieprozesses und der Arzneimitteltherapiesicherheit kontinuierlich im klinischen Einsatz im Klinikum Saarbrücken und unterstützt Ärzte und Pharmazeuten dabei, Medikationsfehler und vermeidbare Medikationsrisiken zu erkennen und zu vermeiden. Über das Klinikum hinaus hat das Projekt regional, überregional und auf regulatorischer Ebene erhebliche Wirkungen entfaltet, die zum Schutz von Patienten vor vermeidbarer Schädigung durch Arzneimitteltherapie beitragen:

Stimuliert und ausgehend von dem Projekt wurden mit einer Übersichtsarbeit zum Thema AMTS im Deutschen Ärzteblatt 2005 Begriff und Thema in Deutschland eingeführt.


Gemeinsam mit der AkdÄ und dem BMG veranstaltete das Klinikum Saabrücken im April 2005 den 1. Deutschen Kongress für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie und initiierte damit eine Veranstaltungsreihe, die bis zum 5. Kongress 2018 in Berlin reicht und heute als das nationale Forum für Diskussion und wissenschaftlichen Austausch zum Thema AMTS – unter der Kongresspräsidentschaft des Chefarztes der Klinik für Innere Medizin I des Klinikum Saarbrücken - gilt. Die Impulse aus dem Saarbrücker Projekt haben das Bundesministerium für Gesundheit bewogen, mit den Aktionsplänen für Arzneimitteltherapiesicherheit für Deutschland die zur Gewährleistung von AMTS notwendigen Veränderungen der Rahmenbedingungen ärztlichen Handels zu bewirken.

Der 1. Aktionsplan für Arzneimitteltherapiesicherheit des BMG wurde 2007 auf dem 2. Deutschen Kongress für Patientensicherheit in Bonn vorgestellt, im Januar 2021 wurde der 5. Aktionsplan Arzneimitteltherapiesicherheit für Deutschland vom Bundeskabinett beschlossen und in Kraft gesetzt.


Fast forward: 18 Jahre später

Im aktuellen Aktionsplan Arzneimitteltherapiesicherheit 2021-2024 des BMG wird die Durchführung von FMEA Analysen für Krankenhäuser auch in Deutschland empfohlen. Die von der RpDoc® Solutions GmbH entwickelte Software wird in zahlreichen Krankenhäusern in Deutschland eingesetzt, um AMTS zu verbessern. Das Unternehmen wurde bereits 2011 vom Bundeswirtschaftsministerium als eines der führenden jungen IT-Unternehmen Deutschlands ausgezeichnet. Das Klinikum Saarbrücken hat unter Konsortialführung der BARMER 2020 zusammen mit der Universitätsklinik Münster die Funktion der Pilotklinik in einem vom Innovationsfonds geförderten Projekt TOP zur Entwicklung einer neuen Versorgungsform zur Verbesserung sektorübergreifender Arzneimitteltherapie übernommen, die RpDoc® Solutions GmbH hat als Technologiepartner die Softwarelösung beigesteuert.

Fast die Hälfte der schwerwiegenden Medikationsfehler im Krankenhaus ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass Kliniker nur unzureichende Informationen über den Patienten und das Medikament haben. Ältere Patienten und Patienten mit Polypharmazie können oft die Medikamente nicht benennen, die sie einnehmen. Hierdurch wird das Risiko inadäquater medikamentöser Therapie und der Unterbrechung einer notwendigen Therapie erhöht (Hellstrom, Bondesson, Hoglund et al. 2012; Roane, Patel, Hardin et al. 2014). 70 Prozent der Patienten mit bis zu acht und 90 Prozent der Patienten mit neun oder mehr Arzneimitteln können keine vollständigen Angaben zu ihrer Medikation machen. Medikationspläne fehlen, sind unvollständig oder nicht aktuell.


Es verwundert daher nicht, dass 47 bis 81 Prozent der Medikations-anamnesen Fehler enthalten. Dies induziert Folgefehler: Anamnesefehler führen in 54 Prozent zu Medikationsfehlern im Krankenhaus. So kam es bei 75 Prozent multimorbider Patienten zu Fehlern bei der Weiterführung ambulanter Arzneitherapie nach stationärer Aufnahme. Arzneitherapeutische Entscheidungen bei Krankenhausaufnahme sind von zentraler Bedeutung: 75 Prozent der Medikationsfehler im Krankenhaus gehen auf Verordnungen zum Aufnahmezeitpunkt zurück. Auch eine für den Patienten sichere Therapieempfehlung bei Entlassung ist ohne Kenntnis der ambulanten Vormedikation nicht möglich: Präzise Kenntnisse der ambulanten


Vormedikation sowie eine effektive Arzneitherapieprüfung bei Entlassung sind aber häufig nicht gegeben. Notwendige Arzneitherapie wird daher unterbrochen und nicht indizierte Therapie wird fortgeführt. Bei jedem 2. Patient enthält die Therapieempfehlung bei Entlassung unbeabsichtigte Abweichungen von der ambulanten Vortherapie. Unbewusstes Ändern der Medikation verdoppelt das Risiko von Re-Hospitalisierung. 17 % - 51 % der entlassenen Patienten sind von einem Medikationsfehler betroffen, jeder 2. Verordnungsfehler bei Entlassung hat das Potenzial, dem Patienten zu schaden.Mit Einverständnis des Versicherten können Krankenhausarzt und -apotheker zum Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme in Echtzeit im Rahmen eines gemäß Beschluss des Gemeinsamen Bundesaus-schusses vom Innovationsfonds geförderten Projektes elektronisch auf Abrechnungsdaten der Krankenkasse zugreifen. Informationen zur medizinischen Vorgeschichte des Patienten werden daraus extrahiert, aggregiert und dem Krankenhausarzt und dem ihn unterstützenden Krankenhaus-apotheker strukturiert und in übersichtlicher Form zur Verfügung gestellt. Die Daten umfassen zum Beispiel dokumentierte Erkran-kungen, erfolgte diagnostische und therapeutische Maßnahmen wie Operationen, bisherige stationäre Behandlungen mit Angabe von Behandlungsgrund, -ort und -zeitraum, ambulant behandelnde Ärzte mit Zeitraum der Inanspruchnahme, verordnete und abgegebene Arzneimittel (ohne Selbstmedikation), Heil- und Hilfsmittel und Pflegestufe. Diese Informationen werden ohne Aufwand für den Arzt und ohne Zeitverzug übersichtlich dargestellt.Die Nutzung von Krankenkassendaten zur Anamneseunterstützung bei Kranken­hausaufnahme verringert bewiesenermaßen behandlungs-relevante Informations­defizite und Anamnesefehler sowie den Zeitaufwand für die Informations-beschaffung. Der Effekt ist erheblich: Bei sechs von zehn Patienten können durch die Nutzung von Kranken­kassendaten bei Kranken-hausaufnahme Behandlungsfehler vermieden werden. Dies wird kombiniert mit der elektronischen Verordungsunterstützung, Verbesserung der Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker im Krankenhaus und elektronischer Unterstützung der Abtimmung von Krankenhaus und niedergelassenen Ärzten. Kombiniert man elektro-nische und pharmazeutische Unterstützung, kann das Risiko vermeidbarer Arzneimittelneben-wirkungen um bis zu 62 Prozent reduziert werden.


Aber auch Versorgungs- und Kosteneffizienz profitieren zusätzlich zur Verbesserung der Patienten-sicherheit: Durch Nutzung von Krankenkassendaten zur Unterstützung bei der Erstellung des bundeseinheitlichen Medikations-plans (BMP) können nicht nur Fehler bei, sondern auch der Zeitaufwand für die Medikationsanamnese um
80 % reduziert werden.

Neben dem Klinikum Saarbrücken und dem Universitätsklinikum Münster als Pilotkliniken sind 12 weitere Kliniken in 6 Bundesländern zur Erprobung und Evaluation der neuen Versorgungsform beteiligt, darunter im Saarland das SHG-Klinikum Völklingen und das Universitätsklinikum Homburg. Ziel ist die anschließend flächen-deckende Überführung dieser neuen, digital unterstützten Versorgungsform in die Regel-versorgung. Wie bereits seit 2003 werden die Projektpartner damit auch zukünftig das wichtige Anliegen der Verbesserung der Patienten-sicherheit bei der Arzneimittel-therapie zum Wohle der Patienten vorantreiben und innovative, elektronisch unterstützte, neue Versorgungsformen im Saarland für das Saarland und für Deutschland entwickeln.




05

Das Projekt SEBKAm

Wie Betreuungskräfte Menschen mit Demenz beim Krankenhausaufenthalt unterstützen können 


Dr. Sabine Kirchen-Peters
und Jana Rößler


Hintergrund
In deutschen Akutkrankenhäusern werden laut epidemiologischen Studien täglich rund 23.000 demenzkranke Patientinnen und Patienten sowie zusätzlich 24.000 ältere Menschen mit leichten kognitiven Störungen behandelt. Ein Krankenhausaufenthalt ist in der Regel nicht erfreulich – bei Menschen mit Demenz bedeutet diese besondere Situation in fremder Umgebung und ohne Bezugspersonen einen kaum erträglichen Ausnahmezustand. Demenzkranke, die im straff organisierten Krankenhausalltag ohne Beschäftigung und Ansprache auf sich alleine gestellt sind, zeigen in der Folge häufig ein so genanntes herausforderndes Verhalten. Sie beschließen z.B., nach Hause zu gehen, rufen ständig, oder sie lösen sich aus Langeweile die Verbände. Damit gefährden sie sich selbst und stellen den Behandlungserfolg in Frage. In der Folge geht ein Krankenhausaufenthalt für Demenzkranke u.a. mit einem erhöhten Risiko zusätzlicher Einschränkungen der physischen und kognitiven Funktionen, einer längeren Verweildauer, einer häufigeren Pflegeheimaufnahme und einem erhöhten Sterberisiko einher.

Projektkonstruktion und Zielgruppen
Das Modellprojekt „Sektorenübergreifender Einsatz von Betreuungskräften an der Schnittstelle von Krankenhaus und ambulanter Versorgung“ (SEBKam), das von April 2017 bis 30. September 2020 vom GKV-Spitzenverband gefördert wurde, setzte an diesen Problemen an und rückte die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz nach Betreuung, Aktvierung und Tages-strukturierung in den Fokus (Kirchen-Peters; Krupp; Rößler 2020). Es wurden Betreuungskräfte erstmals in die Krankenhausversorgung integriert, um die Aufenthalte für Demenzkranke weniger belastend zu gestalten und die Patientensicherheit zu fördern.
Im Mittelpunkt standen zu Hause lebende ältere Menschen, die aufgrund einer Demenz nur über eine eingeschränkte Alltagskompetenz verfügten und die sich einer Krankenhausbehandlung unterziehen mussten. Es wurden als erste Zielgruppe Demenzkranke einbezogen, die eine häusliche Betreuung nach § 45 SGB XI bei den am Projekt beteiligten Pflegediensten in Anspruch nahmen. Die zweite Zielgruppe bestand aus Pflegebe-dürftigen, die in der ambulanten Versorgung bisher noch keine Betreuungsleistungen erhielten. Im Modellprojekt standen die Bedürfnisse der Menschen mit Demenz im Vordergrund, unabhängig davon, ob diese in der eigenen Häuslichkeit oder im Krankenhaus versorgt wurden. Demenzkranke konnten ihre gewohnte Betreuungskraft des ambulanten Dienstes „mit in das Krankenhaus nehmen“ oder sie und ihre Angehörigen lernten im Krankenhaus erstmals kennen, wie wichtig und sinnvoll eine Betreuung im Alltag sein kann. Mit einem vergleichs-weise geringen Ressourceneinsatz wurde durch das Projekt die Möglichkeit geschaffen, die beiden Sektoren Pflegeversicherung und Krankenversicherung, die unterschiedlich finanziert werden, sowie eine Reihe verschiedener Berufsgruppen miteinander zu verzahnen, um die bestmögliche Versorgung von Menschen mit Demenz auch in schwierigen Lebenslagen zu sichern.


An der Umsetzung von SEBKam waren zwei Träger ambulanter Pflegedienste sowie drei Akutkrankenhäuser und eine Klinik für Psychiatrie und Geriatrie beteiligt. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Partner:

  • Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso): Projektträger
  • Arbeitsgemeinschaft katholischer Krankenhäuser Saarland: Interne Verbundkoordination
  • Stiftung kreuznacher diakonie
  • Caritas Sozialstationen Saar-Hochwald
  • Ökumenische Gesellschaft für ambulante Pflege im Saarland
  • Marienhaus Klinikum Saarlouis-Dillingen
  • Fliedner Krankenhaus und Diakonie Klinikum Neunkirchen
  • Prof. Dr. med. Jürgen Stausberg, Arzt für Medizinische Informationsverarbeitung und Ärztliches Qualitätsmanagement (Biometrische Beratung)


Übertragbare Strukturen und Prozesse
Das Projekt wurde durch das Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso) wissenschaftlich begleitet, das im Rahmen einer Struktur- und Prozessanalyse ein übertragbares Handlungskonzept erarbeitete. In diesem Zusammenhang wurden z.B. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Organisationsformen der Betreuung in SEBKam herausgearbeitet:


  • Die Hauptgemeinsamkeiten lagen in den formalstrukturellen Rahmenbedingungen der Erbringung: die Betreuungskräfte waren jeweils bei den ambulanten Diensten angestellt, die auch die Einsatzplanung sowie die Anleitung und Begleitung übernahmen.
  • Die gewohnte Betreuung konzentrierte sich auf den Einzelfall bei bereits bekannten Personen und fand flexibel ausgerichtet an den Bedürfnissen der Angehörigen statt. Die Betreuung in den Modellstationen war dagegen unterteilt in Gruppenbetreuung am Vormittag und Einzelbetreuung am Nachmittag. Werktags wurde ganztägig und samstags halbtägig Betreuung – teilweise mit Unterstützung Ehrenamtlicher – geleistet.
  • Beide Organisationsformen der Betreuung wurden während der Projektphase über Modellmittel des GKV-Spitzenverbandes finanziert.


Durch die im Rahmen der Begleitforschung durchge-führte Kostenanalyse konnte ermittelt werden, welche Kosten der Ansatz im Realbetrieb verursachen würde. Danach kostete eine Betreuung für die gesamte Zeit des Aufenthaltes auf den Modellstationen mit durchschnittlich 19,4 Stunden rund 380 €. Die gewohnte Betreuung, die im Mittel 3,8 Stunden Betreuungszeit umfasste, kostete 110 €. Insgesamt können beide Organisationsformen als vergleichsweise kostengünstig bewertet werden.


Aus der Struktur- und Prozessanalyse gingen auch Em-pfehlungen zur Implementations- und Durchführungs-phase hervor. Diese umfassen z.B. Anregungen zur Eignung und Qualifizierung der Betreuungskräfte, zu Einsatzzeiten und zur Zusammenarbeit mit den anderen Berufsgruppen im Krankenhaus sowie zu räumlichen Anforderungen.


Mehr Patientensicherheit durch Betreuung
Mit einer Wirkungsanalyse wurde das Ziel verfolgt, die Effekte des Einsatzes von Betreuungskräften auf die Patientensicherheit von Menschen mit Demenz anhand objektivierbarer Kriterien vergleichend zu untersuchen. Dazu wurden demenzkranke Patientinnen und Patienten aus den Projektkrankenhäusern, in denen Betreuungs-kräfte eingesetzt wurden (Versuchsgruppen), mit Personenstichproben derselben Krankenhäuser vor Implementierung der Betreuung (Wartelistengruppen) miteinander verglichen. Die Erfassung in der SEBKam-Wartelistengruppe fand bereits im Rahmen einer dem Projekt vorangeschalteten Machbarkeitsstudie statt. Es wurden insgesamt 16 verschiedene unerwünschte Vorkommnisse bei Patientinnen und Patienten mit Demenz erfasst.


Die Auswertung der Wartelistengruppe zeigte, dass Vorkommnisse bei Demenzkranken, die im Krankenhaus behandelt werden, häufig sind. Im Durchschnitt ereigneten sich pro Patient und Aufenthalt rund 17 Vorkommnisse (Mehrfachnennungen waren möglich). Dabei waren diese Ereignisse vielschichtig: Während ein Teil erhebliche Gefährdungen der Patientensicherheit darstellten, etwa im Fall von Stürzen, Delirien oder beim Entfernen von Kathetern oder Zugängen, führten andere zu deutlichem Mehraufwand in Pflege und Behandlung, etwa wenn sich Patientinnen und Patienten immer wieder an- oder auskleideten oder ihren Kot verteilten. Auch ständiges Rufen oder Schreien, das oft mehrmals auftretende Weglaufen oder die Abwehr notwendiger Verrichtungen führten zu sehr angespannten Situationen, die mitunter in unerwünschte Interventionen, wie Sedierungen oder Fixierungen, mündeten.
Die Patientensicherheit konnte nur für den Standort Saarlouis methodisch korrekt ausgewertet werden, weil hier die Bedingungen zwischen Kontroll- und Interventionsgruppe konstant gehalten werden konnten. Dadurch ergeben sich aufgrund der geringeren Fallzahl (N=105) und der Konzentration auf ein Krankenhaus Limitationen im Hinblick auf die Aussagekraft. Dennoch hat der in Saarlouis durchgeführte Vergleich zwischen Kontroll- und Interventionsgruppe deutliche Ergebnisse geliefert. In allen untersuchten 16 Dimensionen haben sich die unerwünschten Vorkommnisse reduziert.


Insgesamt gab es einen Rückgang von zwei Drittel der zuvor konstatierten Ereignisse. Daraus leiten sich auf verschiedenen Feldern positive Auswirkungen der Betreuung ab:

  • Durch den Rückgang unerwünschter Vorkommnisse steigt zunächst die Versorgungs- und Lebensqualität der Menschen mit Demenz, die sich einer Krankenhausbehandlung unterziehen müssen. Denn die verfolgten Vorkommnisse implizieren in der Regel Komplikationen im Behandlungsverlauf mit teils schwerwiegenden Konsequenzen auf die weiteren Lebensperspektiven.
  • Durch vermiedene Komplikationen fallen keine dadurch bedingten zusätzlichen Kosten an. Diese entstehen z. B., wenn sich die Aufenthaltsdauer verlängert und/oder wenn zusätzliche Behandlungen infolge von Infektionen, Stürzen oder Delirien erforderlich werden.
  • Schließlich sparen vermiedene Vorkommnisse Zeit beim Personal des Krankenhauses, die anfällt, wenn etwa Maßnahmen wiederholt, abgängige Patienten mit Demenz gesucht oder Mitpatienten beruhigt werden müssen. Neben der Zeitersparnis sind damit Effekte im Sinne einer Stressreduktion zu vermuten, womit zugleich die Personalbindung und -gesund erhaltung positiv beeinflusst werden können.


Fazit

Durch Betreuungsangebote werden Menschen mit Demenz auf präventive Weise vor unerwünschten Vorkommnissen während eines Krankenhausaufenthalts geschützt. Damit können diese Aufenthalte für Betroffene und ihre Bezugspersonen an Schrecken verlieren und negative Outcomes reduziert werden. Als Nebeneffekt wird zudem das Krankenhauspersonal entlastet, was auch vor dem Hintergrund des allgegenwärtigen Personal-mangels an Bedeutung gewinnt. Damit spricht eine Reihe gewichtiger Argumente für eine regelhafte Installierung von Betreuung für Menschen mit Demenz im Akut-krankenhaus.


Die beteiligten Krankenhäuser haben sich aufgrund der positiven Erfahrungen in den Modellstationen trotz knapper Finanzmittel dazu entschieden, weiter – wenn auch in geringerem Umfang – Betreuungsangebote vorzuhalten. Um einen breiten Transfer in Gang zu setzen, wäre es sicher von Vorteil, finanzielle Anreize zu schaffen. Denn bisher liegen im Gegensatz zur Altenpflege für Krankenhäuser noch keine zusätzlichen Finanzierungs-möglichkeiten für eine Beschäftigung von Betreuungs-kräften vor.


Weiterführende Informationen:

Kirchen-Peters, S.; Krupp, E.; Rößler J. (2020): Sektorenübergreifende Betreuung von demenzkranken Pflegebedürftigen im Krankenhaus. Die Ergebnisse des Projekts SEBKam. SEBKam_Endbericht_2020.pdf (gkv-spitzenverband.de) (Zugriff: 18.01.2021)


06

Sichere Systemtherapie

Projekt zur Prävention schwerer, Chemotherapie-induzierter Nebenwirkungen bei älteren Mammakarzinom Patientinnen an der Klinik für Gynäkologie, Geburtshilfe und Reproduktions-medizin des Universitätsklinikums des Saarlandes.


Dr. med. Julia Caroline Radosa



Das Mammakarzinom ist mit ca. 70.000 Neuerkrankungen pro Jahr die häufigste Krebserkrankung der Frau. Fast die Hälfte der Patientinnen, ist zum Diagnosezeitpunkt älter als 65 Jahre alt und wird im Laufe der Erkrankung mit einer Chemotherapie behandelt. Diese „älteren Patientinnen“ haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung Chemotherapie-induzierter schwerer Nebenwirkungen, welche einen Abbruch der Therapie und/oder längerfristige gesundheitliche Folgeschäden wie Polyneuropathie, kardiale Morbidität, Fatigue-Syndrom etc. induzieren können.


Die Abwägung der potenziellen Vorteile der Chemotherapie gegenüber den potenziellen Risiken stellt bei diesen Patientinnen eine besondere klinische Herausforderung dar, mit der wir in unserem klinischen Alltag täglich konfrontiert werden.

Das onkologische Team der Klinik für Gynäkologie, Geburtshilfe und Reproduktionsmedizin des Universitätsklinikum des Saarlandes/Homburg um Professor Dr. med. E.-F. Solomayer und Professor Dr. med. J. C. Radosa hat hierzu das Projekt „sichere Systemtherapie“ initiiert.


Ziel des Projektes ist es, Patientinnen zu identifizieren, welche ein erhöhtes Risiko haben im Rahmen der Chemotherapie schwere Nebenwirkungen zu entwickeln. Durch die Identifizierung dieses Hochrisikokollektivs können die entsprechenden Therapien individueller an die einzelne Patientin angepasst werden und präventive Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Reduktion von Chemotherapie-induzierten Nebenwirkungen ergriffen werden.



Im Rahmen des Projekts wurde die standardmäßige Erhebung eines neuen Prädiktionsscores für diese Fragestellung vor Therapiebeginn eingeführt. Der, von der amerikanischen Arbeitsgruppe um Magnusson et al. entwickelte „Cancer and Aging Research Group-Breast Cancer Score (CARG-BC)“ besteht aus acht Kategorien, welche klinische und geriatrische Faktoren umfassen und Patientinnen in drei Risikogruppen für die Ausbildung Chemotherapie-induzierter Nebenwirkungen (niedrig, mittel, hoch) einteilt.


Mammakarzinompatientinnen mit einem hohen Score haben nicht nur ein signifikant erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Nebenwirkungen, sondern auch für Dosisreduktionen, Verzögerungen und Abbrüche der Therapie und sind häufiger Hospitalisierungs-pflichtig.

Für Patientinnen, welche der hohen Risikogruppe angehören, werden präventive Maßnahmen zur Verbesserung der Verträglichkeit der Therapie bzw. der Minimierung von Nebenwirkungen ergriffen. Dies erfolgt im Rahmen eines multimodalen, individualisierten, Therapie-adaptierten Ansatzes über Anpassungen der Therapieschemata, der Dosierung und/oder der Intervalle, einer intensivierten Prophylaxe Chemotherapie-bedingter Krankenhausaufenthalte, Präventivmaßnahmen zur Vermeidung Chemotherapie-bedingter Nebenwirkungen (kompressive/ thermogenetische Maßnahmen, intensiviertes kardiales Monitoring, prophylaktische Anämieprävention), sowie eine intensivierte Unterstützung geriatrischer Faktoren.


Durch die beschriebenen Maßnahmen soll eine Reduktion der Chemotherapie-induzierten schweren Nebenwirkungen, Hospitalisierung, Therapieabbrüchen und Folgeschäden für die älteren Patientinnen mit Mammakarzinom erreicht werden. Damit soll die Systemtherapie für die älteren Patientinnen „sicherer“ und besser verträglicher werden und langfristig die Spätfolgen gesenkt werden.






07

Rote Westen

für erhöhte Effizienz bei der Medikamentenvorbereitung und für die Sicherheit der Patienten

 

eingereicht von
Ashwin Mani Ramesh,
Assistenzarzt der Radiologie am KKSaar


 Viele Studien zeigen, dass medizinisches Personal während der Zubereitung und Verabreichung von Medikamenten sehr häufig gestört wird, wodurch indirekt die Sicherheit und Gesundheit der Patienten gefährdet werden kann. In dieser Hinsicht wurden bereits viele Verbesserungsmöglichkeiten untersucht, um solche Störungen zu verringern, darunter das Tragen von roten Westen mit der Aufschrift „Bitte nicht stören“.


Obwohl Mitarbeiterschulungen zentral für die Ausbildung von Pflegekräften sind, haben diese nicht immer langfristige Auswirkungen, da sie keine tägliche Überwachung und Nachbereitung beinhalten. Tägliche Mittel, wie zum Beispiel das Tragen dieser roten Westen bei der Medikamentenvorbereitung, sind für Kollegen und Patienten leicht zu erkennen, haben eine klare Botschaft und eine lang anhaltende Wirkung, wenn sie regelmäßig und zur richtigen Zeit eingesetzt werden.

Dadurch, dass die Pflegekraft diese rote Weste trägt, können Kollegen und Patienten leicht erkennen, dass sie sich momentan auf die Medikamentenvorbereitung konzentriert und nicht unnötig gestört werden sollte.


Zahlen und Fakten

  • Jedes Jahr kommt es in deutschen Krankenhäusern zu 150.0000 arzneimittelbedingten Verletzungen aufgrund von Medikationsfehlern.



  • Fast 20.000 Deutsche sterben jedes Jahr an den Folgen von Fehlern in Krankenhäusern. Davon sind 2.000 auf Fehler bei der direkten Verabreichung von Medikamenten zurückzuführen. Jedes Jahr sterben also mehr Menschen durch Fehler im Krankenhaus als bei Verkehrsunfällen.
  • Das Tragen von roten Westen kann diese Fehler bis zu 47 % verringern.
  • Die Medikamentenvorbereitung von 215 Dosen mit roten Westen kann die hierfür benötigte Zeit zudem um 52 % von 84 Minuten auf 41 Minuten reduzieren.
  • Es wurde auch nachgewiesen, dass die Einsparung an Pflegezeit / Effizienz aufgrund unnötiger Unterbrechungen 14.180 £ (16.837 €) pro Station und Jahr beträgt.
  • In Studien konnten von 150.000 gemeldeten Fehlern 75.000 Fehler verhindert werden.
  • Mit dieser einfachen und kostengünstigen Methode könnten 1.000 Menschenleben in Deutschland gerettet und viele weitere schwerwiegende Fehler verhindert werden.
  • Jede Krankenhausstation kann bei Kosten von weniger als 15 Euro mindestens 15.000 Euro im Jahr einsparen (+ Kosten von Gerichtsverfahren).
  • Die Rettung von 1.000 Menschenleben liegt bei einem Kosten-Nutzen-Verhältnis von 1.000
    (15 Euro für 15.000 Euro).



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